Wein und Architektur: Symbiose aus Alt & Neu

4. Februar 2016

Das historische Erbe der klassischen Weinnationen stellt mit seinen Weinschlössern, Klöstern oder herrschaftlichen Anwesen aus der Gründerzeit andere Herausforderungen an eine moderne Weinarchitektur, als sie die Neue Welt kennt. Noch steckt die Umsetzung in Deutschland in den Kinderschuhen, doch das Thema ist aktueller denn je.

Wein und Architektur sind durch eine traditionsreiche Geschichte miteinander verbunden. In ihrer Vollendung vermögen beide im besten Falle mehr Größe zu zeigen, als die Summe ihrer Bestandteile es könnte. Jenseits dieser metaphorischen Verwandtschaft hat der Wein oftmals große Architektur inspiriert und geschaffen, ebenso wie umgekehrt.

Die frühen Schlösser und Klöster der Alten Welt zeigen seit Jahrhunderten, wie häufig Weinbau mit außergewöhnlichen Bauwerken in Verbindung steht. Zweifelsohne ist diese Tatsache eng verknüpft mit wirtschaftlichen Realitäten. Wer sich Ländereien und Personal leisten konnte, um Weine zu erzeugen, verfügte auch über die Mittel, ein angemessenes Umfeld zu errichten. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Weingüter stellen weiterhin sowohl in der Alten, als auch der Neuen Welt zahlreiche visionäre, architektonische Meisterwerke.

Dabei gibt es zwischen der Architektur der „neuen“ Wein produzierenden Länder in Übersee und den klassischen europäischen Weinnationen ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal:

In Frankreich, Deutschland oder Italien steht ein traditionsreiches Erbe im Blickfeld, an dem man weiterbaut und das umgestaltet wird, während in Argentinien oder Kalifornien gänzlich neue architektonische Gesamtkonzepte umgesetzt werden.

Dieses historische Erbe der Alten Welt beginnt mit den antiken Kelteranlagen der Römerzeit und findet seine Fortsetzung mit der hohen Weinkultur der Klöster, in Weinburgen und Schlössern an Rhein und Elbe, in Winzerhöfen und Repräsentationsbauten aus Klassizismus, Jugendstil und der Gründerzeit, in monumentalen Kellereibauten und schließlich in den nüchternen Zweckbauten der Nachkriegszeit.

Das Beispiel des Sächsischen Staatsweinguts Schloss Wackerbarth zeigt, wie die Symbiose eines barocken Schlossensembles mit einem zeitgemäßen Kellerneubau aussehen kann. Kontraste aus neu und alt zu einer harmonischen Gesamtkonzeption zu führen, ist eine der Herausforderungen, mit der die Architektur in der Alten Welt konfrontiert ist.

Als Vorreiter der modernen Inszenierung von Weinarchitektur dürfen Städte wie Bordeaux und die Weinregionen in Kalifornien gelten. Monumentale zeitgenössische Bauwerke hat man hier bereits zu Beginn und in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit Weingütern wie Dominus im Napa Valley, den Robert Mondavi Wineries, den Sterling Vineyards oder Opus One geschaffen. In der Alten Welt gehören zu den Pionieren der Weinarchitektur die großen französischen Châteaux wie Mouton-Rothschild, Lafite-Rothschild oder Pichon-Longueville. Großartige Beispiele findet man aber auch in Argentinien mit Catena Zapata, dem Weingut Ysios in Spanien oder dem Weinerlebniszentrum Loisium in Österreich.

Deutschland ist gewissermaßen ein Nachzügler, wenn man die kreative Weiterentwicklung und den Um- und Neubau von Weinguts-gebäuden betrachtet.

Hier setzte erst in den 1970er Jahren mit einem veränderten Image des Weins ein Umdenken ein. Jetzt war es en vogue, Weine beurteilen zu können. Weinseminare und Weinkulturreisen haben Konjunktur, Wein wurde zum Synonym für Genuss, Lebensfreude und Lifestyle. Passé zudem die verstaubte Fassdaubenromantik der Nachkriegszeit.

Zeitgleich erhöhte sich der Konkurrenzdruck für die deutschen Winzer durch die umfangreichen Importe ausländischer Weine. Die längst überfällige Qualitätssteigerung deutscher Weine wurde von zahlreichen Winzern, aber auch Institutionen angeregt und in den folgenden Jahrzehnten umgesetzt.

Wein sinnlich wahrnehmen

Qualität ist eine unverzichtbare Voraussetzung für das erfolgreiche Geschäft mit Wein, aber die Produkte müssen nicht nur erzeugt, sondern auch verkauft werden. Hier kommt eine zentrale Rolle der Weinarchitektur zum Tragen: Sie ist ein wichtiger Bestandteil er-folgreichen Weinmarketings. Als Medium für zeitgemäße Weinkultur stellt sie zugleich eine Bereicherung urbaner Regionalität und die Fortsetzung traditioneller Werte dar.

Weinliebhaber möchten die Herkunft ihres Lieblingstropfens kennen, der emotionale Bezug zu einer Region ist mehr denn je gefragt. Nicht umsonst tragen die Etiketten namhafter französischer Weinerzeuger eine Abbildung ihrer Châteaux-Gebäude. Erfolgreiche Marketingkonzepte verbinden alle Aspekte rund um das Produkt. Dazu gehören auch die Verpackung und der Ort der Präsentation. Wer hochwertige Waren verkaufen möchte, sollte eine Analogie zu dem – ebenfalls anspruchsvollen – Umfeld herstellen.

Die emotionale Bindung zu Herkunft und Authentizität des Produkts wird zunehmend mit einem Erlebnischarakter rund um das Thema Wein in Verbindung gebracht. Der Weinkunde bekommt einen Einblick in die Produktionsweise und wird in das Geschehen einbezogen. Weinberg, Winzerhof, Keller und die Vinothek – das komplette Weingut wird zum Ort der Vermarktung. Diese Offenheit schafft Vertrauen. Die Möglichkeit, Wein sinnlich wahrzunehmen, ist eine der Aufgaben, die an die moderne Weinarchitektur gestellt werden.

Eine weitere Herausforderung besteht in der veränderten Rolle der Technologie für die Kellerwirtschaft. Mostkonzentration, der Weinausbau in Edelstahltanks, computergesteuerte Produktionsverfahren, eine Temperatur geregelte Vergärung oder die vollautomatische Abfüllung fordern entsprechende bauliche Maßnahmen. Zudem wird Raum für die Lagerung der kleinen Barriquefässer benötigt.

Die Schaffung optimaler Funktionsabläufe von der Traubenannahme bis zum Flaschenverkauf muss ebenso geregelt sein wie das entsprechende Kosten- und Zeitmanagement. Diese Bedingungen und die Anforderungen an ein kundenfreundliches, einladendes Ambiente setzt zeitgemäße Weinarchitektur mit einer harmonischen Symbiose aus Funktionalität und Stil um.

Das Aussehen eines Weingutsgebäudes signalisiert dem Kunden, welche Weinqualität er erwarten kann. So steht die Schlosskellerei ebenso wie die Winzergenossenschaft bildhaft für das Produkt, das sie verkauft. Die Ebenbürtigkeit zwischen Architektur und Weinqualität ist jedoch nicht immer gegeben. Manches Mal fällt die Güte des Produkts hinter einer allzu schillernden Fassade ab.

Das marketingorientierte Erlebnisweingut braucht mit aller Modernität den regionalen Bezug, jenen Charme, der es liebenswert macht. Nur so wird sich der Kunde eingeladen, willkommen und aufgehoben fühlen. In diesem Sinne ist Architektur auch als Interpretation der vorhandenen Gegebenheiten zu verstehen. Sie integriert das Landschaftsbild, den Rebgarten im Umfeld, einen alten Ortskern, natürliche Baustoffe und Materialien, die vielbeschworene Corporate Identity des Betriebs und nicht zuletzt die Persönlichkeit des Winzers.

Der Schweizer Architekt Jacques Herzog, der die Gebäude des Dominus Estate im Napa Valley gestaltet hat, sagte dazu einmal: „Wer glaubt, er gebe seinem Wein mehr Bedeutung, wenn er seine Barriques in römischen Tempeln oder pseudo-ägyptischen Pyramiden stapelt, macht es sich zu einfach. Es geht darum, aus einfachen, aber zwingenden Überlegungen heraus Komplexität zu erzielen. Das ist bei der Architektur so, und wie ich von Christian Moueix gelernt habe, beim Wein auch.“

Nur aufzufallen reicht nicht. Bei der Vernetzung von Funktion und Optik sollte Architektur die regionalen Charakteristika mit einbeziehen. Wein ist ein sinnliches Produkt, dessen Farbe, Textur, Duft und Geschmackseindruck zusammenspielen. Diese Aspekte werden von Architekten aufgegriffen und im besten Falle durch die Struktur, das Material und die Farbe des Gebäudes zum Ausdruck gebracht. So kann das Material mit Muschelkalk oder Schiefer eine Analogie zu den geologischen Bedingungen bilden oder der Einsatz von Holz im Einklang mit Weinbergs­impressionen stehen.

Grundsätzlich meint man mit Weinarchitektur Gebäude, die der Erzeugung und Lagerung von Wein dienen. Das können landwirt-schaftliche Bauten sein, die mit Winzerhöfen, Weingütern und Domänen zugleich als Wohngebäude fungieren, oder gewerbliche In-dustriebauten, die die Produktion, Lagerung, den Vertrieb und die Verwaltung beherbergen. Modernes Weinmarketing setzt auf eine Gebäudegestaltung, die ein Einkaufserlebnis bieten kann, zum Stil des Winzers passt und sich offen und multifunktional präsentiert.

Noch werden diese Aspekte im Vergleich mit anderen Ländern in Deutschland zaghaft umgesetzt. Doch gibt es zahlreiche Initiativen und Beispiele, die auch hierzulande zeigen, wie moderne Weinarchitektur mit dem weinkulturellen Erbe umzugehen versteht.

Die Architektenkammer Rheinland-Pfalz forciert dieses Thema mit Unterstützung des Wirtschaftsministeriums und der Weinbauverbände und verleiht seit einigen Jahren den Architekturpreis Wein. Bewerben können sich Weingüter und Winzerbetriebe mit ihrer Gesamtanlage, mit Bauten für Kellerwirtschaft oder Weinproduktion, mit Vinotheken, Gastronomie- oder Beherbergungsgebäuden und Freianlagen.

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