Die Lage macht’s: Die Einzigartigkeit deutscher Weinlagen

7. Januar 2016

Es gibt keine andere Weinnation, die so detailreiche Kenntnisse über eine Lage mit ihren kleinklimatischen Bedingungen und ihrer Bodenstruktur gesammelt hat, bevor man überhaupt einen ersten Rebstock pflanzte.

Frost, zu wenig Sonne, zu viel oder zu wenig Regen – klimatische Unterschiede sind in einem Land, das (bislang) an der nördlichsten Grenze des Weinanbaus lag, oft auf kleinstem Raum zu verzeichnen. Sie können über die Qualität und die Menge eines Weinjahrgangs entscheiden. In Deutschland wählte man deshalb bereits vor Jahrhunderten die besten Lagen für den Weinanbau mit großer Präzision aus.

Ein Garant für eine hohe Weinqualität ist eine Lage jedoch nicht. Es kommt auch auf die Arbeit und die Handschrift des Winzers an. Aber die Lage bleibt eine der wichtigsten Voraussetzungen. Es gibt Weinlagen, die sich auf den ersten Blick nicht unterscheiden und deren Weinberge unmittelbar nebeneinander liegen und die dennoch ganz unterschiedliche Weine hervorbringen können. Beide Lagen sind zwar nach Süden ausgerichtet, fußen aber auf unterschiedlichen Bodenformationen, wie Schiefer, Buntsandstein oder Muschelkalk.

Die Weinlagen Deutschlands sind das Spiegelbild einer langen Weinbautradition. Hinter ihren oftmals skurrilen Namen, die es nirgendwo sonst gibt, stecken Anekdoten, Legenden und Lebensweisheiten von einst. Sie sind ein Teil deutscher Kulturgeschichte.

Nicht zuletzt sind sie das Ergebnis eines feinsinnigen Wissens um den viel beschworenen Begriff Terroir mit seinen Facetten aus Klima, Boden und Lage. Der Trend zum regionalen Produkt macht auch vor dem Wein nicht Halt. Welche lokaltypischen Geschichten und Hintergründe für die Namensgebung verantwortlich zeichnen, zeigen einige ausgewählte Lagen in Deutschland.

Einkommensquelle im Badischen: Waldulmer Pfarrberg

Im badischen Waldulm, unweit der berühmten Lage Hex vom Dasenstein, trifft man auf den Pfarrberg, wo seit dem Jahr 1355 Weinbau betrieben wird. Den Namen Pfarrwingert, Pfarrgarten oder Pfarrberg kann man in den deutschen Weinregionen häufiger finden. Er beschreibt seine ursprüngliche Funktion als Einkommensquelle für Kirche und Klerus. Heute gehören die Weinberge des Waldulmer Pfarrbergs zur dortigen Winzergenossenschaft, die im Jahr 1928 von dem Pfarrer Wilhelm Fichter gegründet worden war und bis heute eine rationellere Bewirtschaftung ermöglicht. Auch hier wurde die sogenannte Realteilung praktiziert, nach der die Parzellen von Generation zu Generation kleiner wurden, bis die Winzer nicht mehr alleine von diesem Einkommen leben konnten.

Sonnenuhren an der Mosel: Wehlener, Brauneberger Juffer und Zeltinger Sonnenuhr

Drei Sonnenuhren an der Mittelmosel zeigen beispielhaft, wie genau man in den mitteleuropäischen Breitengraden auf die Sonnenausrichtung eines Weinberges achtet, die so wichtig ist für die Traubenreife. Hinzu kommen hier wärmespeichernde Tonschiefer-Böden und weitere kleinklimatische Faktoren. Die weithin sichtbaren Sonnenuhren lassen die Winzer wissen, wann Vesperzeit und Feierabend ist. Die Sonnenuhr-Weinberge zählen heute zu den besten Lagen an der Mosel. Infolge der Realteilung sind sie in kleinste Parzellen aufgeteilt. Die Juffer-Sonnenuhr wird von beinahe 100 verschiedenen Weingütern bewirtschaftet.

Traditionsreiche Geschichten aus Württemberg: Maulbronner Eilfingerberg

Der Name dieser Lage geht auf eine Legende aus dem 12. Jahrhundert zurück, als Zisterziensermönche hier im württembergischen Kloster Maulbronn bereits Weinbau betrieben. Im Refektorium des Klosters gibt es eine Säule, um die eine Rinne führt. Aus dieser Rinne sei Wein geflossen, heißt es, der aus dem nahe gelegenen Weinberg stammte. In der Fastenzeit war der Weingenuss jedoch untersagt. Die Mönche behalfen sich, indem sie jeweils im Vorbeigehen die Finger in das köstliche Nass eintauchten und den Wein schleckten. Einer von ihnen soll dabei bemerkt haben: „Eilf Finger müsste man haben“, um mehr Wein zu erhaschen. Eilf war die damalige Schreibweise für elf.

Heute ist der rund 15 Hektar große Weinberg mit der regionaltypischen Sorte Lemberger und mit Riesling, Traminer, Silvaner und Weißburgunder bestockt. Die günstige Ausrichtung der Lage mit Winden aus dem Rheintal hält die Trauben bis in den späten Herbst trocken und gesund, so dass sie optimal ausreifen können.

Inselweinberg im Rhein: Rheinhell auf der Mariannenaue

Ihren Namen verdankt die Insel Prinzessin Marianne von Preußen, die im Jahr 1855 das Schloss Reinhartshausen erwarb und damit auch in den Besitz der zum Schlosspark gehörenden Insel gelangte. Von der rund 84 Hektar großen Fläche werden 23 für den Anbau von Wein genutzt. Zudem gibt es Obsthaine, Stillwasserflächen, Sandbänke und einen Waldsaum entlang des Ufers. Seit dem 9. Jahrhundert pflanzt man hier Weinreben. Der Weinbau wurde im Zweiten Weltkrieg vernachlässigt, weil die Produktion von Lebensmitteln wichtiger war. Erst in den 1970er Jahren begann man wieder mit dem Weinanbau. Dabei stellte man fest, dass sich die Chardonnay-Rebe trotz hoher Luftfeuchtigkeit gut entwickelt. Die Rebe soll deutschlandweit zum ersten Mal hier angepflanzt worden sein. Seit dem Jahr 1974 gehört die Insel zum Europäischen Naturschutzreservat, insbesondere mit ihrem teils über 400 Jahre alten Baumbestand, aber auch als Brutstätte für Kormoran, Graureiher und Schwarzmilan sowie als Überwinterungsort für zahlreiche Zugvögel.

Refugium unter Denkmalschutz: Homburger Kallmuth

Der Homburger Kallmuth ist ein außergewöhnlicher Weinberg: Hier treffen die für Franken typischen Bodenformationen aus Buntsandstein und Muschelkalk aufeinander. Hinzu kommt ein spezielles, fast submediterranes Klima, das ziemlich trocken ist und mit einer westlichen Ausrichtung die wärmenden Strahlen der Nachmittags- und Abendsonne aufnimmt. Dann steigt das Thermometer manchmal auf 60 Grad Celsius. Deshalb gibt es hier beste Bedingungen für die Silvanerrebe, aber auch für viele seltene Pflanzen- und Tierarten. Dazu gehören die Asphodill-Graslilie, die Bergkronwicke und viele Orchideenarten. Außerdem stehen die zum Teil bis zu vier Meter hohen Trockenmauern zwischen den Weinterrassen seit dem Jahr 1981 unter Denkmalschutz. Viele Interessen kommen zusammen, wenn Botaniker, Geologen, Denkmalschützer und Önologen hier ein besonderes Refugium sehen. Die Bewirtschaftung der Weinberge ist aufwändig und teuer, denn die Mauern müssen als Kulturdenkmal erhalten und gepflegt werden. Die Rebstöcke sind teilweise über 40 Jahre alt. Heute gehört der Weinberg fast ausschließlich zum Weingut Fürst Löwenstein, das seit beinahe 400 Jahren in dieser historischen Lage Wein anbaut.

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